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Me and myself
 
Sonntag, 7. April 2002
0.1

Ein merkwürdiges Gefühl. Der Tag schaut einen aus dem Spiegel heraus an und man kann doch nicht sagen, was man da sieht. Ich habe eine anstrengend schöne Nacht hinter mir. Zuerst Kino, irgendwas Experimentelles, Stücke aus einzelnen Filmen nach dem Drehbuch eines unbekannten Filmemachers zusammengestellt, das ganze mit neuen Dialogen abgemischt und irgendwie eine ziemlich abgedrehte Musik dazu komponiert. Das alles in einem überfüllten Alternativkino mit engen Holzstühlen und billiger Bierbrause. Bier war das nämlich keines, und Radler auch nicht, eher irgendwas künstliches, aber egal. Irgendwann war das Filmchen aus, die Lichter gingen an, zumindest die, die funktionierten. Erstmal raus an die Luft, Kinos, in denen geraucht wird, entwickeln sich zu Erstickungskammern. Daher habe ich fleissig mitgeraucht, irgendwas muss man ja schliesslich atmen. Spät am Abend dann einen Freund in der Innenstadt getroffen. "Ey, Bock auf ne geile Studentenparty, nix Geld, much Fun". Hm, na also gut, Studentenfeten haben ja immer was recht witziges an sich, kenne es ja noch aus meiner Zeit. Wir kommen also dort an, ziemlich gammeliges Ambiente, Einrichtung und Menschen. Auf den Schrecken reisse ich mir ein Bier auf, setze an und mich hin. Die Musik blubbert auch nur aus den Boxen, wenig los. Für H. habe ich heute einige Texte aus dem Tagebau ausgedruckt, er wollte sie gerne einmal lesen. Ich mache ihm den Vorschlag, ist ja eh nicht viel los hier, ich lese sie ihm vor. Zweites Bier, erstes Blatt. H. hört gespannt zu. Ein fremdes Mädchen, dann noch ein Kerl, ziemlich abgerissen, setzen sich zu uns. Zuerst kichert die Göre, wie ich so lese, verschüttet dabei ihren Rotwein, dann aber beginnt sie zuzuhören. Immer mehr setzen sich dazu, ich bemerke es gar nicht. Lese, lese, lese. Ich lese über Tage, durchquere Wochen, reise durch Monate. Irgendwann bemerke ich, H. ist nicht mehr da. Ich frage einige der Anwesenden, einer sagt, der sei vorhin raus, falls ich den Typ mit dem Hawaihemd meine. Ich kann H.´s Hemden nicht leiden, konnte ich noch nie, nun aber bin ich froh, dass er eines anhand, wenigstens zum Wiederfinden taugen diese hässlichen Dinger also. Vor dem Haus sehe ich ihn. Auf die Frage, was denn los sei, sagte er nur, er hätte telefonieren wollen, drinnen sei es zu laut gewesen Außerdem habe sich seine Blase akut gemeldet. Ich finde es okay, er hätte auch lügen können. Nur, dass er in einen Briefkasten urinieren musste, finde ich zwar witzig, aber irgendwie nicht mehr seinem Alter entsprechend. Ich habe mit sowas, wenn ich getrunken habe, vor Jahren aufgehört. Sind sicherlich mittlerweile zwei oder drei Jahre, denke ich mir mal
so grob, wenn ich es überschlage. Ich habe meine Blätter schonmal mit aus der Wohnung genommen, also brauchen wir da jetzt auch gar nicht mehr hoch, die Flaschen trinken wir leer und stellen sie in der Nähe der Haustüre ab. Der Blick auf die Uhr erhascht den Minutenzeiger auf der neun, der kleine Zeiger, Fachleute sagen Stundenzeiger, nähert sich der zwei, drei... naja, ist ja eigentlich auch egal. An der Tankstelle kaufen wir noch ein handliches Paket mit sechs Bierflaschen, nur die kleinen Exemplare, und laufen an den Main. Die Wiese ist trocken, aber es ist ein wenig kalt. Ich bitte H., er möge Decken aus seinem Auto holen. Widerwillig trabt er los. Ich lege mich erstmal auf die Wiese und schaue in den Himmel. Dunkle Wolken. Sehen schön aus. So mächtig. H. kommt zurück, mit Decken bepackt. Wir hüllen uns ein, aber nicht in Schweigen. Ich lese die restlichen Einträge vor, die ich mitgebracht habe. Wortlos werfen wir später Kiesel ins Wasser. Platsch. Und ein neues Bier. Plitsch. Zielübungen mit der Flasche auf einen Mülleimer. Platsch. Die Sonne geht auf. Ziemlich schön, so ein ruhiger Morgen. Um sechs Uhr beschliessen wir ein Frühstück zu uns zu nehmen. Amerikanisch. Nicht viel los dort um diese Uhrzeit. Aber es schmeckt, wie immer. Der Kaffee brennt sich in die Lippen ein, ein klein wenig bitterer Geschmack erinnert an den Wachzustand. Ausgiebig schlemmen wir. Erzählen. Lachen. Merken, wie wir müde werden. Gegen halb acht sitzen wir wieder im Auto, Musik knallt aus der Heckablage, wir fliegen über die Autobahn. Um acht Uhr bin ich wieder zuhause. Es ist alles ganz still. ich schaue in den Spiegel und sehe einen Menschen, der gerne hinter den Spiegel blicken würde. Doch ich muss einsehen, ich bin nicht Alice. Ich nehme den Spiegel von der Wand, mein Gesicht bleibt auf ihm haften. Hinter dem Spiegel nur die nackte Wand. Mein Gesicht auf ihr. Das Bett schaut mit treudoof an. Ich habe keine Kraft, mich aus meinen Kleidern zu bewegen. Ich lasse mich einfach fallen, werde mich im Liegen ausziehen. Denkste. Irgendwie muss ich wohl sofort eingeschlafen sein. Als ich wieder aufwache, stehe ich kurz auf, ziehe mich aus, Shorts und ein Shirt an, schicke eine SMS, lege mich wieder hin und schlafe. Irgendwann nachmittags an diesem Tag, heute, bin ich wieder aufgewacht. Wegen mir hätte es auch morgen noch gereicht.

 
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