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Me and myself
 
Sonntag, 7. April 2002
0.9

Wir wollten Weihnachten dieses Jahr irgendwie anders verbringen. Nicht wieder durch Clubs ziehen oder was in der Art, irgendwie mal bürgerlich. Also luden wir uns bei Walter ein. Ein ehemaliger Schulkollege von Pascal, irgendwie doch auf die Uni gekommen und dort sogar im Asta tätig, ziemlicher Bummelstudent,
dem die Belange seiner Mitstudenten und Studentinnen wichtiger waren als seine Scheine, Referate, Arbeiten etc. Ein Sozialschwein. Daher war es für uns auch ein leichtes Unterfangen ihm zu verklickern, er sorge sich um das Essen, was ja Vorbereitung bedurfte, wir brächten Getränke mit, etwas zum Einwerfen, wovon Walter nicht viel hielt, aber das bekommen wir schon hin; und natürlich kümmern wir uns auch um Frauen. Bürgerliche Weihnacht muß ja keine Trauerfeier sein.
Gegen Mittag rief ich meine Eltern an und bestellte ihnen meine Wünsche. Mein Vater murmelte etwas von einer Überweisung, was ich beim weiteren Gespräch überprüfte, wir waren in der Nähe einer Bank. Es bestätigte sich, ich hob die vierhundert Luschen gleich ab. Pascal bekam große Augen und einen feuchten Mund. Meine Mutter weinte noch ein wenig am Telefon und ich versprach ihr, wir sehen uns bestimmt mal wieder im neuen Jahr, ganz am Anfang werde ich mal wieder zu Besuch kommen.
Pascal stellte seinen Wagen, wir waren zwischenzeitlich in den Getränkemarkt gefahren, direkt vor dem Eingang ab. Sofort kam ein Mann gesprungen und beschwerte sich in seiner Funktion als korrektes deutsches Arschloch. Weihnachten macht einige Leute immer so bösartig. Pascal stieg langsam aus, gab dem Mann einen Zwanziger und wünschte ihm schöne Weihnachten. Ich verstand den Sinn dieser Bezahlung zwar nicht so ganz, trottete aber mit ihn den Markt, da es mir für eine Diskussion zu kalt war. Wir nahmen einen dieser tiefergelegten Getränkerumkarrwagen und luden auf. Zwei Kästen Bier, Winterbock, das starke Bier mit dem Elch vorne, dazu eine Flasche Wodka, Sprudel für den Morgen. Bürgerliche Weihnachten. Wir nahmen auch noch eine Flasche Glühwein mit. An der Kasse saß Judith. Ich dachte ja, ich werde verrückt. Die kannte ich noch aus meiner Zeit, als ich am Hauptbahnhof im Zeitungskisok gearbeitet hatte. Sie kam jeden Morgen und kaufte die Zeitung bei mir. Mit ihrem süßen Lächeln konnte sie mir einen schönen Tag schenken. Ich zahlte und wollte mit ihr ins Gespräch kommen. Die Schlange hinter uns an der Kasse vergaß ich ganz. Judith wirkte verstört. Was war mit ihr los. Da sah ich den Ring an ihrer Hand. Der Getränkemarktbesitzer kam in diesem Augenblick an die Kasse und forderte mich auf weiterzugehen, ich würde ja den ganzen Laden aufhalten. Da sagte er zu
Judith, sie solle sich nicht anquatschen lassen, sondern gefälligst ihre Arbeit tun, sie sei seine Frau, es ginge schließlich um ihr Geschäft. Ich verabschiedete mich von Judith, sprach ihr meinen Weihnachtswunsch aus und schob den Wagen an. In diesem Moment sah ich eine kleine Zuckerträne, leider salzig, aus ihrem Auge kriechen. Wir luden also die Kästen in den Volvo, wo den Pascal wieder herhatte, ein und Pascal setzte sich auf den Fahrersitz. Ich sagte ihm, ich hätte noch etwas vergessen und bat ihn, eben kurz zu warten und eine zu rauchen.
Hinter dem Getränkemarkt sah ich Judiths Mann, wie er Paletten aufeinander stapelte. Ich ging zu ihm hin und tippte gelassen auf seine Schulter. Schon beim
Umdrehen roch ich seinen schlechten Alkoholatem. Das hatte Judith, die süße Zeitungsmaus, nun wirklich nicht verdient. Ohne die geringste Vorwarnung trat ich ihm in die Eier. Beim Zusammensacken sah er mich wortlos schreiend an. Meine flache Hand schlug ihm ins Gesicht. Frohe Weihnachten, Arschloch. Fest des
Friedens, Fest der Freude, da konnte man eine kleine Ausnahme verzeihen. Beim Einsteigen in den Wagen grinste mich Pascal nur an und meinte, ich habe sicherlich das Richtige getan eben. Ich schnaufte meine kalte Atemluft an die Scheibe und schrieb ein sichtbares "JA" hinein. Als wir bei Walter ankamen, hatten wir bei der Hinfahrt noch schnell bei unserem Verteiler gehalten, mittlerweile nahm ich auch ab und an was, und wir kauften für zweihundert Steine Spaßmacher ein. Bei Walter war es noch ruhig, er stand in der Küche, seine eine Hand im Arsch eines Truthahns, die andere an der Kippe. Melanie, eine entfernte Bekannte, war da. Und mit ihr Sarah, eine Freundin. Meine Augen wurden größer, als ich sie sah, wie auch ein anderes Körperteil, das sich, ohne zu sehen, sofort in sie verliebte. Wir unterhielten uns ein wenig, wie schön es doch sei, jetzt Weihnachten auch mal bürgerlich zu verbringen. Dabei kicherte Sarah leise und Melanie öffnete die erste Flasche Sekt, die sie mitgebracht hatte. Walter also mit der Hand im Arsch einen Vogels, Pascal mit Melanie am trinken und ich flirtete mich sachte an Sarah heran, die es zu genießen schien. Weihnachten konnte kommen.
Falsch, Weihnachten konnte nicht erst kommen, Weihnachten war ja schon da. Ich konnte meine Augen nicht von den Geschenken nehmen, die mir Sarah mitgebracht hatte. Wie gerne würde ich sie jetzt gleich hier auspacken. Walter hatte inzwischen den Vogel fertig rektal versorgt und machte sich daran, das Teil in den Ofen zu schieben, wir wollten zum gemütlichen Teil übergehen. An der Türe klingelte es. Walters Nachbar stand da, ebenfalls so eine Studentenzecke, lange Haare, verfilzt, Holzperlen in den Strähnen, Norwegerpullover, Cordhose und im Winter Birkenstock, natürlich mit hangestrickten Wollsocken. Im Arm seine
Müslistange, ein ziemlich ausgehungert aussehndes Mädchen, langes blondes Haar, ahnbare Brüste, Wickelrock aus dem Dritte- Welt- Laden. Hätte Angst, der beim Vögeln was zu brechen. Meine Augen fahren dankbar über Sarah, tasten sie ab. Die beiden Körnerfreaks wollen mitfeiern, wurden von ihrer
Aktionskomunenwasweissichscheißgruppe versetzt, kam eben ein Anruf. Sie hatten gehört, bei Walter würde gefeiert, Weihnachten im alten Stil, also dachten sie sich, fragen wir mal an. Walter hatte noch enorme Nahrungsmittelschulden bei den beiden, also rein in die Stube, vieleicht wird es ja lustig mit den zwei. Wir machen es uns auf der Sitzgruppe in Walters Wohnzimmer gemütlich und unterhalten uns zwanglos bei ein paar Bier. Ich habe mit Pascal schon eine Pille eingeschmissen, kleiner Hungermacher. Pascal unterhält sich anscheinend sehr gut mit Melanie, brauche mir also keine Sorgen zu machen, dass wir uns wegen den Frauen in die Quere kommen. Sarah wird mein Engel, mein Christkind, mein Geschenk, das ich auspacken werde. Bin mir irgendwie sicher, dass wir uns näher kommen. Sie scheint auch recht angetan zu sein. Die Müslis unterhalten sich derweil über irgendwelche Demos im neuen Jahr, auch eine Art Unterhaltung. Walter rennt ab und an in die Küche, um den Vogel wieder anzufeuchten, bevor die Haut reißt, ansonsten sitzt der Knabe da, hört mal hier und mal da zu und
nuckelt an seinem Bier. Über die Boxen läuft " Animal Boy " von den Ramones. Ich baue mir derweil eine kleine Tüte und rauche. Die Müslis sind das von ihren Demos anscheinend gewohnt und grinsen nur, Walter schaut etwas grimmig, aber ist ja Weihnachten, Pascal würde sicher mitrauchen, ist aber ziemlich heftig bei Melanie am Baggern und bekommt es gar nicht mit und Sarah, ja Sarah, hat anscheinend noch nie gekifft, denn sie schaut etwas verwundert, so wie es kleine Mädchen tun, wenn sie das erste Mal von einem Zungenkuß hören. Ich ziehe den Rauch langsam und tief ein, genieße es. Sarah raucht normal nur irgend so ein Ultra- Gefake. Doch sie sagt, es sei Weihnachten, sie möchte auch mal die Englein singen hören. Nach drei schnellen Zügen, Anfänger machen gerne diese Fehler, sieht sie ziemlich christkindlich aus. Sie kuschelt sich in meinen Arm und näselt etwas von Wärme und der Liebe der Menschen an Weihnachten. Ich stimme zu und schließe die Augen. Erinnere mich an früher, als noch Schnee fiel. Als wir Kinder noch morgens schon mit unseren Schlitten die Hügel vor dem Haus hinunterbrausten. Abends oft bis spät in die Nacht, mit an die Schlitten gebundenen Taschenlampen den Weg erhellten. Nachts die Schlittenbahnen mit Wasser begossen, so dass wir morgens Eisbanhen hatten. Diese rasten wir mit
Schlitten, alten Pfannen oder Müllsäcken hinab. Einmal hatte ich in meinem Schneeanzug sogar gefrorene Butter mit nach Hause gebracht, damit wachsten wir dir Kufen unserer Schlitten. Heute schneite es nur noch auf einer Party, Schlitten bin ich seit Jahren nicht mehr gefahren, höchstens mal mit in einem geklauten amerikanischen. Ich streiche Sarah durch ihr langes Haar und warte, dass Walter den Vogel holt. Ich habe Hunger. Eine weitere Tüte später steht Walter auf und geht Richtung Küche, der Adler scheint gelandet zu sein. Beim Öffnen der Ofentüre bückt sich Walter etwas zu sehr, furzt genüßlich, einem Signal gleich und wir wissen, das Essen ist nun fertig. Die Teller haben Melanie und Sarah schon hingerichtet, der Müslimann hat den Wein entkorkt und die Müslifrau hat die Kerzen mit einem Holzspan entzündet. Sieht richtig feierlich aus jetzt hier bei Walter. Und mein Engel Sarah schwebt durch den Raum, streckt mir ihre Hand entgegen und zieht mich vom Sofa. Sie ist so richtig flauschig breit, die Couch, aber ich merke, auch die Sarah. Pascal konnte es wieder nicht abwarten und ist schon reichlich betrunken. Diese Angewohnheit, auf Feten immer zu trinken was geht, es könnte ja leer sein bevor man betrunken ist, kann man ihm wohl auch nicht mehr abgewöhnen. Zum Essen hören wir etwas Klavirmusik, ein schöner Kontrast. Das Essen schmeckt vorzüglich, ich wusste nicht, dass Walter so gut kochen kann, aber ich ahnte schon immer, dass er künstlerisch irgendwie begabt sein musste. Die Müslis essen sehr ausgewählt, lassen das Fleisch ganz weg und vergnügen sich mit dem Gemüse, was aber auch keinen stört. Am Vogel ist genug dran. Melanie schaufelt ordentliche Brocken in sich hinein, vielleicht will sie Kraft für die Nacht sammeln, vielleicht hat sie aber auch schon einige Zeit nichts mehr richtiges gegessen, wer weiß das schon bei diesen Mädels. Models sind eben so. Melanie jobbt in einer Modelagentur. Die Figur dazu hat sie ja. Sarah ist nur kleine Portionen, sie trinkt aber sehr viel Wein dazu, fällt mir auf. Hoffentlich schläft sie nachher nicht ein. Ich werde ihr wohl eine kleine runde Wachmacherfreude verabreichen. Walter sitzt schmatzend da und freut sich, dass er auch mal Gäste hat. Und ich freue mich, dass ich Sarah gerade hier kennenlerne, freue mich über das gute Essen und einfach auch mal so, ist ja wirklich schön, mal
so ein bürgerliches Weihnachtsfest. Nach dem Essen lassen wir uns wieder in die Polster fallen, Walter verteilt Kurze für die Verdauung, das Körnerpaar sitzt mittlerweile schmusend in der Badewanne, sie hatte plötzlich Lust mit ihm zu baden, wir alle haben kein Problem damit, hatten aber die Türe in Richtung Bad geschlossen, irgendwie fürchteten wir uns alle davor die beiden Menschen nackt zu sehen. Walter suchte in seiner Plattensammlung nach etwas ruhiger Musik, Pascal lag nun mittlerweile schon beinahe auf Melanie, spielte mit ihren Ohrläppchen und beide tuschelten und lachten wie zwei Tunten, die sich über Madonnas Hochzeit in einem Straßencafé unterhielten. Ich suchte in meiner Tasche nach einer kleinen Bunten für Sarah und nach einer für mich. Endlich gefunden gab ich sie ihr. Sie wollte nicht so recht. Ich sagte ihr, dass sei nur eine Verdauungshilfe, sie könne mir da wirklich vertrauen. Dabei sah ich ihr tief in die Augen und in den Ausschnitt. Unendliche Weiten, in beide Fällen. Sie schluckte, ich schluckte. Nun konnte die Party beginnen.

Ich lege meinen Arm um Sarah und versuche sie zu küssen. Sittsam zieht sie ihren Kopf immer wieder ein Stück zurück, ist sie so brav oder will sie mich verarschen. Ich versuche es herauszufinden und schiebe meine Hand unter ihren Pullover. Zwei Äpfelchen hängen da an meinem Fingerbaum und strahlen über die Bäckchen. Sarah grunzt irgendwas wie "Du Schlimmer" und schiebt mir ihre Zunge in den Mund. Sie schmeckt nach Wein. Ich könnte weinen.
Hatte mir gewünscht, sie zu küssen, doch sie beginnt mich eher auszusaugen. Plötzlich spüre ich auch ihre Hand an meinem Weihnachtsmann, die Rute spannt sie deutlich an und ich meine, ich höre in der Ferne Rentiere traben. Sarah ist handwerklich äußerst geschickt, das merke ich schon bei den ersten Übungen. Das Paar in der Badewanne planscht ausgelassen, Melanie und Pascal sind eingeschlafen, Walter fummelt an sich und der Fernbedienung herum.
Wir sind ungestört. Verziehen uns ins Schlafzimmer. Wir lassen das Licht an und mein kleiner Schlitten flitzt gekonnt ihre weißen Hügel hinab ins warme Paradies. -----? Gegen neun Uhr wachen wir auf, liegen beide nackt in dem fremden Bett. Ich merke, meine Lippe ist ein wenig geschwollen, sicher aufgebissen. Sarah liegt ausgestreckt neben
mir, sie ist wunderschön, ihre Marmorhaut glänzt ungewaschen in der Morgensonne. Pascal öffnet von außen die Türe und schaut herein. Sein Gesicht gleicht einem Bombenkrater. Er nuschelt was von Frühstück und kotzt in den Blumentopf neben der Türe. Ich werfe ihm ein Kissen an den Kopf, mit dem er sich abwischt und dann das Zimmer verlässt. Melanie sitzt seit einer Stunde auf dem Klo und liest. Das Müslipaar, so erzählt mir Walter beim Frühstück, sei gegen 4 Uhr gegangen, er selbst habe sich seine Gina Wild- Filme nochmal angesehen und dabei Plätzchen gebacken. Weihnachten in der neuen Familie. Ich gebe Sarah meine Telefonnummer und bringe sie und Melanie zum Wagen. Pascal winkt mit der Hand aus dem Fenster, zum Abschied, während er sich dabei wieder und wieder in das Waschbecken übergibt.

 
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letzte Änderung: 14.05.02, 22:09
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